Down-Syndrom-Tagung September 2015, Themenblock „Identität“
Dr. Karin J. Lebersorger
Wie können Eltern die Auseinandersetzung mit dem Down-Syndrom fördern und dadurch zu sicherer Identität und mehr Autonomie beitragen
Wenn Eltern durch die Diagnose Down-Syndrom aus ihren Phantasien und Träumen über ihr Baby gerissen werden, erleben sie meist leidvolle Gefühlszustände. Ein schmerzhaftes Loslassen ihres Wunschkindes steht am Beginn ihrer Beziehung zu ihrem ganz besonderen realen Kind. Nie fand ich diesen Prozess berührender dargestellt, als auf den ersten Seiten des Buches „Du bist da und du bist wunderschön“. Evelyne Faye und Birgit Lang vermitteln darin elterliches Wünschen und Leiden in sinnlichen, assoziativen Bildern und unmittelbaren, klaren Worten. Nach der ersten Auseinandersetzung mit dem Down-Syndrom zu Beginn des Lebens erfordert auch jede neue Entwicklungsphase einen Abschied von Erwartungen und kann zu weiteren traurigen Momenten führen.
Schützen wollen aus eigenen Erfahrungen
Auf Basis dieser eigenen schmerzhaften Erfahrungen ist es nur allzu verständlich, dass viele Eltern ihr Kind davor schützen wollen, aufgrund des Down-Syndroms gekränkt, verletzt, geschwächt oder traurig gemacht zu werden und in ein ähnliches Gefühlschaos gestoßen zu werden, wie sie einst selbst. Sie vermeiden es das Down-Syndrom zu benennen und darüber mit ihrem Kind zu sprechen.
Alle Eltern haben den Wunsch, ihrem Kind für ihr späteres Leben eine sichere Basis zu schaffen. Für die Entwicklung einer eigenen Identität im Jugendalter und für Selbstsicherheit im Erwachsenenalter ist es unerlässlich, über sich selber Bescheid zu wissen. Es gilt, die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen und zu akzeptieren, aber auch die eigenen Besonderheiten. Dazu zählt das Down-Syndrom mit all seinen Herausforderungen. Wenn ein Mensch seine Begabungen kennt, kann er sie stolz gezielt entwickeln. Wenn ein Mensch seine Besonderheiten kennt und versteht, kann er sich ihnen zu seinem Nutzen stellen. Wenn jemand beispielsweise nicht mehr scharf sehen kann und durch eine Untersuchung von seiner Sehschwäche erfährt, wird er für viele Tätigkeiten zur Brille greifen. Wenn ein Mensch über sein Down-Syndrom Bescheid weiß, wird er Untersuchungen und Behandlungen nicht als Strafe, sondern als Notwendigkeit für ein gesundes Leben begreifen können. Ziel ist es, Beschränkungen nicht als eigenes Versagen, und Vorteile nicht als Willkür, sondern als Auswirkungen des Down-Syndroms zu akzeptieren.
Idealerweise erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Down-Syndrom innerhalb der Familie ganz natürlich von Beginn an, indem das Thema nicht tabuisiert wird. Bereits Kinder sollen hören, dass sie in der Spielgruppe Familien mit anderen Kindern mit Down-Syndrom treffen, dass ihre Eltern zu einem Vortrag über Down-Syndrom gehen oder dass sie in der Down-Syndrom-Ambulanz einen Termin haben. Eltern könnten schon im Vorfeld erklären, dass dort die MitarbeiterInnen allen helfen, bei Down-Syndrom gesund zu bleiben oder zu werden.
Reaktion und Verhalten auf das Thema Down-Syndrom
In Rahmen unserer Ambulanztätigkeit zeigt sich, dass viele Kinder, Jugendliche aber oft auch Erwachsene nicht wissen, wo sie sich befinden. Eltern sind oftmals irritiert, wenn wir erwachsenen PatientInnen gegenüber das Down-Syndrom im Beratugsgespräch thematisieren. Bei Kindern und Jugendlichen klären wir mit den Eltern ab, ob in der Familie über das Down-Syndrom bereits gesprochen wurde. Aufgrund unserer jahrelangen Erfahrung und eingehenden theoretischen Überlegungen sind wir überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit dem Down-Syndrom stärkt und nicht schwächt. Viele Kinder, die wir über Jahre durch Höhen und Tiefen ins Erwachsenenalter begleitet haben, bestärken uns in dieser Haltung.
Für Eltern sind die Reaktionen ihrer Kinder oftmals eine besondere Herausforderung:
So lehnen sich manche Jugendliche heftig gegen das Down-Syndrom auf oder äußern, dass sie mit anderen Menschen mit Down-Syndrom nichts zu tun haben wollen. Dies ist als entwicklungsadäquater adoleszenter Protest zu verstehen. Die Akzeptanz der eigenen Einzigartigkeit und Besonderheit ist für alle Menschen ein lebenslanger Prozess, mit angenehmen und schmerzhaften Aspekten. Sehr hilfreich ist es, wenn Eltern ihren Kindern, die das Down-Syndrom verleugnen, beruhigend sagen können, dass die eine Seite ihres Kindes wünscht und denkt, nichts mit dem Down-Syndrom zu tun zu haben, dass aber die andere Seite weiß, dass es das Down-Syndrom hat. Diese andere Seite weiß und spürt auch, was für ein toller Mensch es ist und wie sehr es geliebt wird. Solche Gespräche müssen in Zeiten der Ablehnung öfters geführt werden, bevor eine Integration von teils unerwünschten Selbstanteilen erfolgen kann.
Andere Jugendliche wiederum provozieren ihre Eltern, indem sie darauf bestehen, sich alles aufgrund des Down-Syndroms erlauben zu können. Beide Extreme können Eltern ziemlich ratlos und traurig machen.
Für Eltern kann es besonders belastend sein, wenn Kinder und Jugendliche keine Fragen stellen oder aufgrund ihrer sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten nicht zu verstehen scheinen. Auch wenn der Eindruck besteht, dass ihr Kind nicht begreift, was ihm mitgeteilt wird, so ist es für das Kind hilfreich zu hören, dass es ein Mensch mit Down-Syndrom ist. Eltern helfen ihm, sich zu orientieren, indem sie in Worte fassen, wenn es fröhlich, entspannt, aber auch enttäuscht, traurig oder wütend ist. Es ist hilfreich, wenn sie ansprechen, dass Dinge, die sich ihr Kind wünscht, aufgrund seiner Besonderheit nicht verwirklichbar sind. Gleichzeitig sollte es hören, was möglich ist, und worin seine individuellen Begabungen bestehen. Finden Eltern Worte für Fragen, Gefühle und Zustände, die ihr Kind selbst nicht auszudrücken vermag, so sind sie ihm damit eine große Stütze für die Entwicklung seines Ichs!